1 LANDLEBEN! Blühender Mühlenkreis – Artenvielfalt vor der Haustür LANDART! 100 Jahre Leidenschaft, (Künstliche) Kreativität und ein Museum unter Dampf LANDGENUSS! Inspirationen für das eigene Gartenparadies LANDLEBEN, LANDART UND LANDGENUSS IM MÜHLENKREIS MIT HERAUSNEHMBAREM SAMENTÜTCHEN
2 Foto: Dagmar Selle 28 20 12 24 16 5.17 5.06 5.21 07 10 5.02 5.24 5.01 5.16 5.19 5.18 5.07B 5.07A 5.07C 5.12 5.08 5.09 5.22 5.11 5.15 5.23 5.03 5.04 5.14 5.05 4.12 4.14 4.15 4.18 4.24 4.19 4.06 4.21 4.07 4.09 4.10 4.27 4.28 2.13 2.02 2.14 2.10 2.04 2.05 2.19 2.07 2.06 2.11 2.09 1.15 1.19 1.04 1.06 1.09 1.12 1.13 1.03 1.10 3.08 3.09 3.04 3.07 3.06 3.05 3.10 3.02 3.01 5.20 STARTPUNKT STARTPUNKT 2.08 2.12 2.18 STARTPUNKT STARTPUNKT 1.08 3.03 4.02 2.17 STARTPUNKT 2.15 4.05 5.25 1.02A 1.02B 3.11 5.10 5.17 5.06 5.21 07 10 5.02 5.24 5.01 5.16 5.19 5.18 5.07B 5.07A 5.07C 5.12 5.08 5.09 5.22 5.11 5.15 5.23 5.03 5.04 5.14 5.05 4.12 4.14 4.15 4.18 4.24 4.19 4.06 4.21 4.07 4.09 4.10 4.27 4.28 2.13 2.02 2.14 2.10 2.04 2.05 2.19 2.07 2.06 2.11 2.09 1.15 1.19 1.04 1.06 1.09 1.12 1.13 1.03 1.10 3.08 3.09 3.04 3.07 3.06 3.05 3.10 3.02 3.01 5.20 STARTPUNKT STARTPUNKT 2.08 2.12 2.18 STARTPUNKT STARTPUNKT 1.08 3.03 4.02 2.17 STARTPUNKT 2.15 4.05 5.25 1.02A 1.02B 3.11 5.10
3 INHALT 04 GRUSSWORT 06 LANDLEBEN 06 ÖKO-MODELLREGION MINDEN-LÜBBECKE 08 PROFIT FÜR DIE NATUR, STATT FÜRS PORTEMONNAIE 12 RAUS AUS DEM HAMSTERRAD 14 G RÜNE INFRASTRUKTUR IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS 16 ORGANSPENDEN FÜR DIE GRÜNE LUNGE 20 DER WOLF LÄSST SICH WIEDER BLICKEN 22 WENN DAS MOOR GEDICHTE SCHREIBT 24 RAUM FÜR PFLANZEN UND ARTENVIELFALT IN STEMWEDE 26 REIMLERS TEICH – »DAS FILETSTÜCK VON HILLE« 28 LANDART 28 LANDART-ROUTEN IM ÜBERBLICK 30 WAS FÜR EIN THEATER! 32 KÜNSTLICHE KREATIVITÄT – MÄRCHEN ODER REALITÄT? 34 DAMPFENDE GESCHICHTE ERLEBEN 36 NATURERLEBNISSE AN DER LANDART-ROUTE 1 40 NATURERLEBNISSE AN DER LANDART-ROUTE 2 44 NATURERLEBNISSE AN DER LANDART-ROUTE 3 48 NATURERLEBNISSE AN DER LANDART-ROUTE 4 52 NATURERLEBNISSE AN DER LANDART-ROUTE 5 56 LANDGENUSS 56 SCHOTTERWÜSTEN – BYE, BLÜTENVIELFALT – HI 58 TIPPS UND TRICKS VOM GÄRTNER: »NEW GERMAN STYLE« 62 MIT GLEICHGESINNTEN DEN GRÜNEN DAUMEN TEILEN 64 GÄRTNERN UNTER NEUEN KLIMABEDINGUNGEN 66 LERNEN LEBENSRÄUME ZU GESTALTEN 68 GEOPARK-GAME-APP »THE LOST COLLECTION« 69 PAUSE AM WESERRADWEG MACHEN UND DIE NATUR ENTDECKEN 70 VERANTWORTUNGSBEWUSSTEN UMGANG MIT DER NATUR ERLERNEN 73 LANDSERVICE 73 GEMEINSCHAFTSGÄRTEN 74 SELBER PFLÜCKEN 75 FRISCHE-AUTOMATEN 76 WOCHENMÄRKTE 77 GEMÜSEKISTEN ABO 78 JAHRESZEITENKALENDER 82 BAUMSCHNITT-ANLEITUNG 86 LANDFRAUEN-KÜCHE MIT GIERSCH 90 IMPRESSUM 91 SAMENTÜTCHEN
4 die vierte Ausgabe unseres Minden-Lübbecker Landmagazins ist bunt und vielfältig wie unser Mühlenkreis. Die Themen dieser Ausgabe sind blühende Gärten und Landschaften im Mühlenkreis – und eben dieser zählt nun auch zu den Öko-Modellregionen. Was es damit auf sich hat: Lesen Sie selbst! Für die Recherchen zur neuen Ausgabe des MILLA-Magazins hat das MILLA-Team diesmal einen besonderen Blick auf die Natur im Mühlenkreis gelegt. Das Team war in Latzhose und Gummistiefeln in der vielfältigen Landschaft des Mühlenkreises unterwegs, hat die Hände in die Erde gesteckt und den Artenreichtum der Gärten im Mühlenkreis hautnah erlebt. LANDLEBEN GRUSSWORT Foto: Sandra Seifen LIEBE LESERINNEN UND LESER, Foto: Winfried Hedrich
5 GRUSSWORT Wie so häufig, wenn wir uns die Zeit nehmen, genauer hinzusehen, staunen wir, was es da zu entdecken gibt. Liebevoll gestaltete Gärten, buntblühende Blumenwiesen und eine große Bandbreite an regionalen Produkten aus der Öko-Modellregion Minden-Lübbecke sind zu finden. Gerne nehme ich Sie in dieser Ausgabe auf diese Reise durch den Mühlenkreis mit. Der Verlust von Artenreichtum und Biodiversität ist ein wichtiges und brisantes Thema für Politik, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger geworden. Die Gründe dafür sind divers und reichen vom Klimawandel über den Verlust von Lebensräumen bis hin zu einer zu starken Belastung unserer Umwelt. Häufig sind es die Kleinsten, die dabei schnell übersehen werden. Der Verlust an Insekten ist dramatisch und betrifft uns direkt, denn ohne Bestäuber keine Ernte. Was können wir also tun? Sehr viel! Unsere Gärten können Insekten wichtige Lebensräume bieten. Am wohlsten fühlen sich die kleinen Besucher und Besucherinnen in großer und wilder Vielfalt. Ich staune immer wieder, was auf einmal alles blüht und gedeiht, wenn es der Natur überlassen wird. Damit auch Sie zuhause die Vielfalt in Ihrem Garten, auf Ihrer Terrasse oder auf dem Balkon erleben können, liegt dieser Ausgabe ein Samentütchen mit einer Insektenblühmischung bei. Lassen Sie uns gemeinsam für noch mehr Vielfalt und Biodiversität im Mühlenkreis sorgen! Ökolandbau setzt genau auf diese natürlichen Mechanismen. Mit vielfältigen Fruchtfolgen, widerstandsfähigen Sorten und angepasster Düngung wirtschaften mittlerweile einige Betriebe im Kreis Minden-Lübbecke. Vielfalt auf dem Acker hilft unserem Boden, den Tieren und letztendlich – auf dem Teller angekommen – auch der gesunden Ernährung. Mit weniger als drei Prozent Ökolandbau-Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche hat der Mühlenkreis noch ein großes Entwicklungspotential. Dieses Potential zu heben ist die Aufgabe unseres Projektleiters der Öko-Modellregion Florian Rohlfing. Sein Ziel: Förderung des Ökolandbaus in der Region und damit mehr regionale Öko-Lebensmittel aus dem Mühlenkreis für uns alle. Hierzu mehr im Artikel »Öko-Modellregion«. Nun wünsche ich Ihnen viel Spaß bei der Lektüre und lassen Sie uns gemeinsam den Mühlenkreis noch bunter gestalten! Beste Grüße! Ali Doğan –Landrat–
6 LANDLEBEN Diesen und vielen anderen Fragen widmen sich die Öko-Modellregionen. In NRW gibt es davon zurzeit fünf und der Mühlenkreis ist eine davon. Gefördert wird dieses Projekt durch das Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Bewerben können sich Kommunen und Kreise mit einem Konzept. Dabei ist das Ziel klar: Förderung des Ökolandbaus in der Region und mehr Bio-Produkte von hier für uns im Mühlenkreis! Bio-Produkte sind gefragt. Seit Jahren wächst der Markt für Bio-Lebensmittel stetig. Die inländische Produktion kann diese Nachfrage nicht decken und so werden darüber hinaus Bio-Lebensmittel importiert. Der Bio-Markt unterliegt dabei, wie alle Lebensmittel-Märkte, stetigem Wandel. Neben einer zunehmenden ÖKO-MODELLREGION FLORIAN ROHLFING LANDWIRTSCHAFT DIREKT VOR DER HAUSTÜR – IM MÜHLENKREIS MUSS MAN NICHT LANGE UNTERWEGS SEIN UM ZU ERLEBEN WIE UND WO UNSERE LEBENSMITTEL WACHSEN. DOCH WO BEKOMMT MAN DAS »GUTE VON HIER?« UND WOHER KOMMEN UNSERE LEBENSMITTEL EIGENTLICH? vegetarischen und veganen Ernährung wird auch die Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln immer größer. Hierdurch lassen sich Lieferwege einsparen, die Klimabilanz der Produkte verbessern, Arbeitsplätze in der Region halten und nicht zuletzt sind die Lebensmittel auch noch schneller und frischer im Regal. Um den Ökolandbau in der Region zu entwickeln, reicht es aber nicht nur mehr Äcker und Wiesen ökologisch zu bewirtschaften. Dazu gehört auch, die Weiterverarbeitung und Vermarktung in der Region zu halten und auszubauen. Denn aus den Rohprodukten wie dem Getreidekorn lässt sich bekanntlich noch kein Brot backen. Dazu braucht es Verarbeitungsunternehmen wie eine Mühle. Erst wenn die gesamte Kette geschlossen ist, kann man von einem regional produzierten Produkt sprechen. Die einzelnen Glieder dieser sogenannten Wertschöpfungsketten zu entwickeln und in die Kette zu integrieren, ist ein weiteres wichtiges Ziel des Projektes. Und auch über das Ladenregal hinaus steigt die Nachfrage nach gesunden Lebensmittel von hier – so auch im Außer-Haus-Verkauf, also in der
7 LANDLEBEN Kita, in der Schulmensa oder der Betriebskantine. In diesen Großküchen bestehen für den Einsatz regionaler Lebensmittel weitreichende Anforderungen. Neben der Qualität stehen vor allem die Logistik und die Verarbeitungsstufe der Produkte im Fokus. Viele Küchen benötigen für einen effizienten Arbeitsablauf beispielsweise die Kartoffeln geschält und gewaschen zu einem bestimmten Termin in der Küche. Auch hier ist die Entwicklung von Wertschöpfungsketten nötig, um die Produkte in der angeforderten Qualität zum richtigen Zeitpunkt liefern zu können und dabei die Lieferwege so kurz wie möglich zu halten. Nicht nur im Außer-Haus-Markt, sondern auch in der Gastronomie steigt die Nachfrage nach regionalen Zutaten. Die Aufgeschlossenheit der Köchinnen und Köche ist groß, doch auch hier braucht es eine durchdachte Integration der Produkte in den Betriebsablauf. Besonders das Thema der Logistik spielt hier eine wichtige Rolle für den Erfolg. Zusammen sind solche Herausforderungen zu meistern und so setzt Projektleiter Florian Rohlfing auf den Austausch und ein gutes Netzwerk. Regelmäßig treffen sich Menschen aus Landwirtschaft, Verarbeitung, Gastronomie und Vermarktung, um gemeinsam über die Entwicklungsziele und –möglichkeiten des Projektes zu beraten. »Der Austausch, das Netzwerk und der Wunsch, gemeinsam etwas in und für die Region erreichen zu wollen, sind der Schlüssel zum Erfolg« ist sich Florian Rohlfing sicher. Aber wie erkenne ich, dass das Produkt aus einer solchen regionalen Produktion stammt und wo kann ich diese Produkte dann bekommen? Auch da setzt das Projekt an und hat zum Ziel, einerseits den Ausbau von Einkaufsmöglichkeiten für regionale Bio-Produkte auszubauen und andererseits an einer Kennzeichnung der Produkte zu arbeiten. Damit soll klar erkennbar sein, was hier angebaut, verarbeitet und produziert wurde. »Die Öko-Modell- region bietet das große Potential, gemeinsam mit anderen Betrieben aus dem Mühlenkreis den Ökolandbau in der Region maßgeblich zu entwickeln und langfristig zukunftsfähig aufzustellen« Friedrich Kinkelbur – Landwirt »Die Vernetzung mit lokalen Betrieben, die sich durch den ganzheitlichen Ansatz des Projekts ergeben, eröffnen uns neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit in der Gastronomie und eine Verbesserung der regionalen Wertschöpfung.« Christian Stegkemper – Gastronom »Die Vermarktung unserer Produkte in der Region zu stärken und gemeinsam mit anderen Produzenten die Vielfalt der Region zu zeigen ist ein toller Mehrgewinn der Öko-Modellregion« Heike und Friedrich Dörmann – Verarbeitung ÖKO-MODELLREGION MINDEN-LÜBBECKE Florian Rohlfing Portastraße 13 32423 Minden Tel.: 0571/807-13531 Mobil: 0175 420 0247 florian.rohlfing@minden-luebbecke.de www.oekolandbau.nrw.de PODCAST FLORIAN ROHLFING Florian Rohlfing
PROFIT FÜR DIE NATUR, STATT FÜRS PORTEMONNAIE DIE GÄRTNEREI DUFTGARTEN IN HÜLLHORST VERSUCHT NACHHALTIGKEIT UND WIRTSCHAFTLICHKEIT IN EINKLANG ZU BRINGEN. DAS IST EIN SCHWIERIGER SPAGAT, DENN VIELE FAKTOREN MÜSSEN ÜBEREINSTIMMEN, UM DEN BETRIEB AM LEBEN ZU ERHALTEN. LANDLEBEN 8
Carsten Schumacher kniet auf seinem frisch bestellten Acker und zeigt voller Begeisterung auf kaum sichtbare, grüne Blättchen. »Das sind meine ersten Rote Bete Pflänzchen dieses Jahr«, ruft er voller Stolz aus. Der gut gelaunte Mann mit dem herzlichen Lächeln leitet zusammen mit seiner Frau Nadine Glaesener die Gärtnerei Duftgarten in Hüllhorst. Bereits seit 1996 widmen sich die zwei studierten Landschaftsplaner dem Bioland-Anbau von Frisch- und Feingemüsen, Kräutern und Salaten. Mittlerweile bewirtschaften sie in Hüllhorst an der Büttendorfer Straße fast vier Hektar Fläche mit Ackerland und Gewächshäusern und beschäftigen 25 Mitarbeitende. Ihre Produkte verkaufen sie auf Wochenmärkten, über Abokisten und in ihrem kleinen Hofladen. Bis dahin war es für die beiden Naturliebhaber allerdings ein weiter Weg. Den Geist der Zeit treffen Mit ihrem Ziel »gesundes Gemüse zu erzeugen und regional zu vermarkten« trafen sie bei ihrer Zielgruppe den Geist der Zeit. Ein Geist, der sich immer weiter ausgebreitet hat: Zunehmend mehr Menschen entwickeln ein verstärktes Umweltbewusstsein, dabei spielt Regionalität eine immer größere Rolle. Besonders das Corona-Virus hat die Nachfrage nach den bunt zusammengewürfelten Gemüsekisten steigen lassen. »Da waren wir echt am Limit und mussten sogar Kunden absagen«, lässt Carsten Schumacher die stressige Zeit Revue passieren. Viel Werbung muss der Betrieb nicht machen, sie arbeiten nach einem einfachen Prinzip: »Wir wol len vor allem zufriedene Kunden – und wenn das gelingt, wächst man automatisch«. Eine Anleitung zum reich werden ist das allerdings nicht. Es ist vielmehr die Philosophie des Unternehmerpaares. »Es geht uns nicht darum, das große Geld zu machen. Wir wollen Biodiversität fördern und die Umwelt nicht mit Chemikalien belasten. Wir wollen einfach leckeres und gesundes Gemüse anbieten«, betont der studierte Landschaftsplaner. Es schmerzt ihn, dass immer mehr Flächen versiegelt werden und damit fruchtbarer Boden verloren geht. »Der Flächenfraß kann so nicht weitergehen«, fordert er. Carsten Schumacher hat seine ersten Rote Bete Sprösslinge entdeckt. Auch im Hofladen kann das frisch geerntete Gemüse gekauft werden. LANDLEBEN 9
Tierische Mitarbeiter Dass der Bio-Anbau aber auch seine Herausforderungen mit sich bringt, kann Carsten Schumacher nicht leugnen. Um das besser zu veranschaulichen, zeigt er eines seiner Gewächshäuser. Im dem abgeriegelten Haus wachsen Reihe an Reihe Tomatenpflanzen. Es riecht nach dem süßlich, fruchtigen Aroma der Tomaten, obwohl die Pflanzen noch gar keine Früchte tragen. Die schwüle Luft wird von einem Summen und Brummen erfüllt. Hummeln tummeln In der Gärtnerei Duftgarten wird alles biologisch angebaut und geerntet. Neben Gemüse werden auch frische Kräuter angebaut und verkauft. Im Gewächshaus gedeihen die Pflanzen besonders gut. LANDLEBEN 10
GÄRNTEREI DUFTGARTEN Büttendorfer Straße 208 32609 Hüllhorst Tel.: 05744 511644 gaertnerei@duftgarten.info stoffe, die alle Probleme abtöten. Vielmehr muss mit Kreativität und Optimismus nach neuen Wegen gesucht werden. Zwei Eigenschaften, die Carsten Schumacher deutlich ausstrahlt und auch lebt – bei ihm scheint das Glas immer halb voll zu sein. Diese positive Sicht aufs Leben ist vielleicht genau der Grund, warum er sich von den vielen unkalkulierbaren Faktoren, die sein Beruf mit sich bringt, nicht so schnell aus der Bahn werfen lässt. »Unser wirtschaftlicher Erfolg hängt viel von Witterungsbedingungen ab. Und natürlich sind wir auch vom Klimawandel betroffen. Wenn ein Starkregen oder Hagel kommt, dann kann auch mal eine ganze Spinaternte hinüber sein«, so der Geschäftsführer über die Schattenseiten der landwirtschaftlichen Arbeit. Auch politische und wirtschaftliche Veränderungen haben Einfluss auf die Rentabilität der Gärtnerei Duftgarten. Und auch das Kaufverhalten ihrer Kunden variiert im Verlauf der Jahreszeiten. Selbst und ständig »Gerade im Sommer, wenn viele im Urlaub sind und die Nachfrage dadurch sinkt, kommt man an die Grenzen der Vermarktbarkeit mancher Produkte«, legt Carsten Schumacher offen und verrät dann freudig grinsend eine mögliche Lösung für das Problem: »Ich möchte in Zukunft gerne Tomaten zu Soßen verarbeiten«. Dass er mit seiner Arbeit auch kreativ sein kann, sieht er als einen der größten Vorteile am Selbstständig sein. Doch auch das hat seinen Preis: wenig Urlaub, sechs bis sieben Tage die Woche Arbeit und einen gelben Schein bei Krankheit gibt’s auch nicht. Deswegen ist Carsten Schumacher ein sportlicher Ausgleich unglaublich wichtig. »Ich spiele Volleyball. Wenn ich diesen Mannschaftssport betreibe, komme ich einfach auf andere Gedanken.« Und das ist auch notwendig: denn als Geschäftsführer eines eigenen Betriebes ist es schwer abzuschalten und die Arbeit aus dem Kopf auszusperren. Man trägt viel Verantwortung – auch für die Mitarbeitenden. »Ein großes Team zu managen ist gar nicht so einfach«, so der Geschäftsführer der Gärtnerei Duftgarten, die zugleich auch ein Ausbildungsbetrieb ist. Ihm ist es besonders wichtig, auf die individuellen Wünsche seiner Angestellten einzugehen - so funktioniert für den 55-Jährigen moderne Mitarbeiterbindung. »Die Arbeit hier ist hart. Man arbeitet draußen in der Kälte auf dem schlammigen Acker und muss sich viel bücken. Dieser Job erfordert Idealismus«, zählt der Geschäftsführer die harten Fakten auf. Doch für ihn überwiegen definitiv die Vorteile: »Man muss einfach Lust auf diese Arbeit haben und die Vorzüge zu schätzen wissen. Man ist viel an der frischen Luft, arbeitet mit einem tollen Team und vor allem geht man einer sinnstiftenden Aufgabe nach.« sich auf den jungen Blüten der Tomatenpflanzen und bestäuben sie. Doch wo kommen die fleißigen Mitarbeiter überhaupt her? »Das sind unsere Erdhummeln«, präsentiert der Unternehmer seine kleinen Hilfskräfte und erklärt: »Die leben hier drinnen. Wir bekämpfen die tierischen Schädlinge im Gewächshaus mit Nützlingen«. Mit diesem Konzept versuchen sie Krankheiten und Schädlingen auf natürliche Weise entgegenzuwirken. In der Bio-Landwirtschaft gibt es keinen gradlinigen Weg – keine GiftHummeln sind wichtige Helfer, denn sie bestäuben die Pflanzen. LANDLEBEN 11
12 RAUS AUS DEM HAMSTERRAD Ob Himbeeren zum Selbstpflücken, selbstgemachtes Honigeis oder ein Selbstbedienungsfenster mit Marmelade und Honig. Alles, was der große Garten der Familie Kröger wachsen und gedeihen lässt, wird hier verwertet. Vor einigen Jahren entschieden sich Thomas und Andrea Kröger dazu, ihre Jobs zu kündigen und von dem zu leben, was Mutter Natur ihnen schenkt. Nun hängen sie zwar nicht mehr in klassischen Angestelltenverhältnissen fest, verschiedene Tätigkeiten üben sie aber immer noch aus. Obwohl sie sich offiziell als Landwirte bezeichnen, sind sie doch wesentlich mehr. Während der 46-jährige Thomas Kröger auf dem Hof Imker und Winzer zeitgleich ist, bietet seine Frau verschiedenste Kurse an. Zusammen decken sie viele kleine Ertragsbereiche ab und ermöglichen sich so ein selbstbestimmtes Leben auf ihrem vier Hektar großen Hof. Zauber in der Kräuterküche In der kaminbeheizten Diele eines alten Bauernhauses, in dem das Ehepaar mit seinen zwei Kindern lebt, finden sämtliche von Andrea Krögers Kursen statt. Sie bietet zum Beispiel Sauerteigbrotbacken an, erklärt wie man PropolisDie Honigbienen sind Thomas Krögers Heiligtum. KNORRIGE BÄUME WIEGEN SICH IM WIND, HÜHNER PICKEN GACKERND IN DER SONNE – AUF KRÖGERS NATURHOF HERRSCHT EINE GELASSENHEIT, DIE SCHNELL AUF BESUCHER DER GRÜNEN OASE ÜBERSCHWAPPT. DER KLEINE SELBSTVERSORGERHOF IN ESPELKAMP-ISENSTEDT BIETET NATURFREUNDEN FRISCHE PRODUKTE DIREKT AM URSPRUNGSORT. LANDLEBEN
13 creme herstellt, oder wandert mit den Kursteilnehmern durch ihren duftenden Kräutergarten und stellt nachher mit ihnen frisches Pesto her. In ihrem Garten haben die Krögers neben ihren Kräutern, Früchten und Gemüsen auch eine Blumenwiese angelegt, von der sich jeder nach Belieben einen eigenen Blumenstrauß zusammenstellen kann. Bezahlt wird nach Gefühl und ohne Überwachung, denn Andrea und Thomas Kröger geben jedem ihrer Kunden einen Vertrauensvorschuss. Es gibt keine besetzten Kassen, Kameras oder Kontrolleure. Hier auf dem Land vertraut man einander noch. Die Einzigen, die auf dem Hof alles genau im Auge haben, sind die vielen Honigbienen, die wild umherschwirren. Sie sind die Lieblinge von Thomas Kröger und werden von ihm gut umhegt. Profit ist nebensächlich Neben seinen fleißigen Bienen ist der Landwirt auch besonders stolz auf seinen Miniweinstock. Vielleicht 20 frisch geschnittene Weinreben recken sich gierig der Sonne entgegen – wenn die Trauben reif sind, stellt er seinen eigenen Wein daraus her. Er macht deutlich, dass es ihm dabei nicht um einen möglichst großen Profit, sondern um den Spaß an der Sache und um den Schutz der Umwelt geht. »Wir sind nicht nur für uns, sondern auch für die Natur ausgestiegen«, erzählt der 46-Jährige, der vor sechs Jahren seinen sicheren Job als Kaufmann an den Nagel hängte. Mit ihrem Garten folgen sie dem Prinzip der Permakultur und versuchen so einen Kreislauf aufrechtzuerhalten. In ihrem Garten herrscht Pflanzenvielfalt und die sorgt automatisch auch für eine bunte Artenvielfalt. Es werden keine Düngemittel eingesetzt und keine vermeintlich lästigen Tiere wie Schnecken oder Wühlmäuse verjagt. Was nicht überlebt, bleibt im nächsten Jahr einfach ganz weg. Dem Biorhythmus folgen Andrea Kröger hat nicht nur gelernt, welche Gemüsesorten auf ihrem Boden nicht gedeihen, sondern auch die Liebe für Gartenarbeit neu entdeckt. »Als Kind habe ich es gehasst im Garten zu helfen«, lacht die 44-Jährige. Heute ist das der Ort, in dem sie ihre meiste Zeit verbringt. Hier ist sie ihre eigene Chefin und Kreativ-Direktorin. »Ich habe diese eine Sache gefunden, bei der es egal ist, wie lange es dauert. Weil ich es aus Leidenschaft mache«, erzählt sie begeistert und hebt dann hervor: »Jetzt folgen wir unserem Biorhythmus und schauen, was der Körper braucht«. An manchen Tagen bleiben sie auch einfach mal den Vormittag im Bett, dafür arbeiten sie aber auch oft an Wochenenden und fahren nicht mehr in den Urlaub. Was für manche wie ein erzwungener Verzicht klingen mag, ist für die beiden eine bewusste Lebensentscheidung. Sie wollten raus aus dem Hamsterrad des konventionellen Berufsalltags: Früh aufstehen, zur Arbeit gehen, spät nach Hause kommen und KRÖGERS NATURHOF Bruchweg 2 32339 Espelkamp Tel.: 0175 8388617 Instagram: kroegershof_ Facebook: Krögers Naturhof YouTube: Krögers Naturhof dann keine Zeit mehr für Kinder und Kochen haben. Die Krögers leben in Harmonie mit der Natur und finden es schade, dass viele Menschen »den Bezug zur Umwelt verlieren«. Besonders bei der Schulbildung sehen sie noch Handlungsspielraum. »Viele Kinder wissen gar nicht, welche Pflanzen da wachsen. Die Prioritäten werden einfach falsch gesetzt«, sagt die zweifache Mutter. Sie betont aber auch, dass sie auf keinen Fall anderen ihren Lebensstil vorschreiben möchten und jeder seinen eigenen Weg finden muss. »Wir können uns aber wirklich nicht mehr vorstellen, in ein Angestelltenverhältnis zurückzukehren«, sagt die Aussteigerin und ihr Mann ergänzt: »Für uns ist das hier der beste Weg, um frei zu sein.« Am liebsten verbringt Andrea Kröger ihre Zeit im Garten – hier ist sie ihre eigene Chefin. Auf dem Selbstversorgerhof können Kunden ihre eigenen Himbeeren pflücken oder heimischen Honig kaufen. LANDLEBEN
14 DAS JAHR 2022 WAR MIT EINER JAHRESDURCHSCHNITTSTEMPERATUR VON 11.1°C DAS VIERTWÄRMSTE IM MÜHLENKREIS (DATEN DER WETTERSTATION IN RAHDEN). AUCH DIE DREI NOCH WÄRMEREN JAHRE LIEGEN NICHT LANGE ZURÜCK. IM ZUGE DES KLIMAWANDELS NEHMEN EXTREMWETTEREREIGNISSE WIE HITZE- UND DÜRREPHASEN, ABER AUCH STARKREGEN UND DAMIT EINHERGEHENDE ÜBERFLUTUNGEN ZU. DER GLOBALE KLIMAWANDEL WIRD GANZ LOKAL IM MÜHLENKREIS SICHTBAR. ABGESTORBENE WALDFLÄCHEN, TROCKENE FELDER, HITZEBELASTUNG IN WOHNGEBIETEN, STARKE NIEDERSCHLÄGE, DIE IN HANG- UND TALLAGEN KLEINE BÄCHE ZUM ANSCHWELLEN BRINGEN ODER STRASSEN ZU FLIESSWEGEN WERDEN LASSEN. An Klimafolgen angepasste Siedlungsgestaltung kann Kühlung und Überflutungsschutz leisten. Insbesondere dort, wo eine dichtere Bebauung in Siedlungsbereichen wenig Platz für Grünflächen mit hohen Bäumen oder Wasserflächen bietet, ist »grüne Infrastruktur« das Stichwort. Begrünte Dächer und Fassaden können sowohl die Außentemperatur in der direkten Umgebung kühlen als auch den Innenraum hinter der Wand oder unter dem Dach. Durch die Verdunstung des in Pflanzen enthaltenen Wassers wird Verdunstungskälte erzeugt. Bei der Fassadenbegrünung entsteht zusätzlich Schatten. GRÜNE INFRASTRUKTUR IN ZEITEN DES KLIMAWANDELS Dachbegrünung in Minden aus einem kreisweiten Förderprogramm. LANDLEBEN
15 GRÜNE INFRASTRUKTUR IST AKTIVE KLIMAFOLGENANPASSUNG – SEIEN SIE DABEI! Aber auch dort, wo Felder, Bäume und Garten das Haus umgeben, ist eine Dachbegrünung sinnvoll - zum Schutz vor Starkregen. Schon dünnschichtige Dachbegrünungen, so genannte extensive Gründächer, können rund die Hälfte des Jahresniederschlags zurückhalten. Je höher und intensiver die Erd- und Pflanzenschicht, desto mehr Wasser kann gespeichert werden. Geht man zum Beispiel von einem Starkregen aus, bei dem 40 Liter in einer Stunde pro Quadratmeter anfallen, so kann ein flaches, 100 Quadratmeter großes Gründach mit einer 10 Centimeter hohen Substratauflage 2.000 Liter Regen pro Stunde zurückhalten. Das Regenwasser wird dann langsam abgegeben und verursacht keine Schäden am Gebäude. Grüne Infrastruktur schafft zusätzliche Lebensräume für Vögel und Insekten. Auch für uns machen Grünflächen Siedlungs- oder Gewerbegebiete attraktiver und lebenswerter! Im Kreis Minden-Lübbecke gibt es regelmäßig Förderprogramme für Begrünung und grüne Infrastruktur. Bürgerinnen und Bürger können bei der Kreisverwaltung oder in einigen Städten und Gemeinden Zuschüsse für die Begrünung ihres Dachs oder ihrer Fassade erhalten. Im Jahr 2023 läuft beispielsweise das Förderprogramm »Klimaresilienz und Biodiversität« des Kreises Minden-Lübbecke zur Dachbegrünung, Fassadenbegrünung und Entsiegelung von Flächen. Fassadenbegrünung mit Kletterpflanzen LANDLEBEN KLIMASCHUTZTEAM KREIS MINDEN-LÜBBECKE Tel.: 0571 807 23221 klimaschutz@minden-lübbecke.de
16 ORGANSPENDEN FÜR DIE GRÜNE LUNGE DER WALD IM KREIS MINDEN-LÜBBECKE HAT IN DEN LETZTEN JAHREN MIT BESONDERS VIELEN PROBLEMEN ZU KÄMPFEN. EXTREME HITZE, STÜRME UND DANN DER GROSSE BORKENKÄFERBEFALL SORGTEN FÜR EIN ENDE VIELER BÄUME. DAS MILLA-MAGAZIN HAT ZWEI FÖRSTER GETROFFEN, DIE IHM NUN NEUES LEBEN SCHENKEN WOLLEN. Wie Mondkrater ragen abgesägte Baumstümpfe aus der Erde empor. Durch einen großen Kahlschlag in Lübbecke am Silberblick erscheint die Fläche dort nun wie eine Mondlandschaft. Noch vor 2018 wuchsen hier majestätische Fichten in den Himmel, doch diese wurden vom sich massenhaft vermehrenden Borkenkäfer befallen und mussten deswegen gefällt werden. Für Lübbeckes Revierförster Jürgen Rolfs kein leichter Anblick. »Das ist eine Katastrophe. Im Studium haben wir zwar gelernt, dass es darauf zugehen kann, aber dass es uns so trifft, das hätte ich nicht gedacht«, sagt der 65-Jährige. Zusammen mit vier weiteren Förstern ist er für den Wald im Kreis MindenLübbecke zuständig. Zu seinem Bezirk gehört das Wiehengebirge von Lübbecke bis Preußisch Oldendorf. In über 40 Berufsjahren hat er so ein Ausmaß des Waldsterbens nicht erlebt. »Das ist für mich die Spitze der Katastrophe«, beschreibt er seine Gefühle in Bezug auf die 1.000 Hektar kahlgeschlagene Fläche. Von den insgesamt 2.500 Hektar Waldfläche, für die er zuständig ist, ist das mehr als ein Drittel Verlust. Neuer Wald braucht Jahre Zwei Mitarbeiter pflanzen in weiten Abständen Zitterpappeln. Die schnellwachsenden Bäume sollen später die neuen Baumsetzlinge vor den Witterungsextremen auf den riesigen Freiflächen schützen. Zudem sollen sie die Flächen gliedern. Es wird mindestens 25 Jahre dauern bis der Wald wieder so weit nachgewachsen ist, dass etwas nutzbares Holz anfällt. Auf schöne dicke Bäume muss aber noch wesentlich länger gewartet werden. Und ganz so einfach ist die Wiederbewaldung nicht. Bei der Aufforstung gilt es einiges zu beachten, damit die Bäume auch in Zukunft noch Bestand haben und nicht wie ihre Vorgänger ein zu frühes Ende finden. Die Bäume müssen klimabeständig sein, um nicht durch die extreme Trockenheit geschädigt und dann von Pilzen und Borkenkäfern befallen zu werden. Das allerdings erschwert die Auswahl der Baumarten sehr. Auf dem Streifzug durch das Wiehengebirge in Lübbecke ist auch Revierförster Markus Uhr vom Regionalforstamt Ostwestfalen-Lippe LANDLEBEN
17 dabei. Er wohnt in Petershagen und ist nicht nur dort für den Wald zuständig, sondern auch in Hille, Minden, Porta Westfalica-Barkhausen und einem Großteil von Bad Oeynhausen. Er kennt den Forst wie seine Westentasche und weiß genau, an welchen Stellen dieser aufgrund von Sturm, Borkenkäfern und Dürre am Schwächeln ist. Obwohl er für den flächenmäßig größten Bezirk in OWL verantwortlich ist, hat er nicht mit solch einem Ausmaß an Waldsterben zu kämpfen wie sein Kollege aus Lübbecke. »Die Schadflächen bei mir sind Kleinkram dagegen. Wenn ich das Ausmaß hier sehe, denke ich an die Gesundheit meiner Kollegen. Die kennen hier jeden Baum und jeden Strauch - und plötzlich geht ihr Lebenswerk und das der Vorgänger den Bach runter«, bedauert Markus Uhr und lässt traurig seinen Blick über die weite, kahle Fläche schweifen. »Wir befinden uns in der größten Katastrophe, die der Wald im deutschsprachigen Bereich jemals erlebt hat. Eine derartig rasante und in der Größenordnung stattfindende Verheerung hat es selbst zu Kriegszeiten nicht gegeben«, verdeutlicht er dann. Neues Leben pflanzen Jürgen Rolfs rupft währenddessen widerspenstige Brombeerranken aus der Erde, um den neuen Baumsetzlingen in der kraterartigen Landschaft Luft zum Wachsen zu geben. Denn bevor diese zu einer ansehnlichen Größe heranwachsen können, müssen sie sich gegen wildes Gestrüpp, unbeständiges Klima und hungriges Wild durchsetzen. »Viele Setzlinge überleben es gar nicht. Es ist viel Arbeit, die kleinen Pflänzchen zu pflegen«, erklärt der 65-Jährige. Insbesondere seit dem großen Sturmtief Friederike im Jahr 2018 ist er unermüdlich für den Wald im Einsatz. Nach den extremen Sturmschäden waren die Folgejahre besonders heiß. Das hat bei den Borkenkäfern für bestes Wohlfühlklima und rasante Vermehrung gesorgt. Besonders auf Fichten fühlen sich die Käfer wohl. Die einzige Möglichkeit, den widerspenstigen Tieren Einhalt zu gebieten, war es, möglichst viele der befallenen Bäume zu fällen und außer Reichweite zu bringen. Das hat für viele kahle Flächen in den Wäldern gesorgt, welche jetzt aufgeforstet werden müssen. Wie so ein wiederbewaldetes Stück Natur aussehen kann, will der langjährige Förster zeigen. Er fährt etwas tiefer ins Wiehengebirge und präsentiert dann stolz einen jungen Mischwald. Er ist ein Zeichen dafür, dass es zwischen all der Verzweiflung auch Hoffnung gibt. Hier hatte vor 15 Jahren Orkan Kyrill gewütet und große Teile des Waldes zerstört. Jürgen Rolfs pflanzte danach kleine Bäumchen, um den Wald wieder aufzuforsten. »Man hat eine leichte Spur von Hoffnung, wenn man das hier sieht. Es gibt einem wieder das Gefühl, dass wir es schaffen können«, so Jürgen Rolfs, dem die Freude über den jungen Wald deutlich anzusehen ist. Auch Markus Uhr ist beeindruckt von der Baumvielfalt. Zwölf verschiedene Baumarten leisten sich hier gegenseitig Gesellschaft. Ob Weide, Eiche, Ahorn, Küstentanne oder sogar Kirsche, sie alle wachsen hier friedlich in die Höhe. Genau Revierförster Markus Uhr begutachtet eine kahlgeschlagene Fläche. Die widerspenstigen Borkenkäfer haben für den Tod vieler Bäume gesorgt. Aufgrund anhaltender Trockenheit lassen die Bäume ihre Blätter hängen. LANDLEBEN
18 das ist das Konzept, auf das die Förster in Zukunft noch stärker setzen möchten: Vielfalt. »Das Gleichgewicht im Wald verändert sich. Es ist so komplex, dass man die genaue Wirkung des Klimawandels in den nächsten Jahren noch gar nicht absehen kann. Das Einzige, was man machen kann, ist, dass man das Risiko verteilt und mit solchen Mischwäldern arbeitet«, erklärt Markus Uhr und fügt hinzu: »Die Sommer werden trockener und die Winter nasser. Die Bäume müssen sich gegen all diese Veränderungen durchsetzen.« Aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaf- ten werden durch die Klima- umschwünge nicht direkt alle Bäume angegriffen – das Risiko verteilt sich. Besonders gut gegen Trockenheit und Dürre setzten sich zum Beispiel Birke, Weide und Eiche durch. »Das Problem dabei ist allerdings, dass Rehe besonders gerne die Setzlinge von Eichen fressen«, schildert Markus Uhr. Durch die guten Nahrungsvoraussetzungen vermehren sich die scheuen Tiere immer schneller und erschweren den jungen Bäumchen das Überleben. Dadurch muss mehr Wild geschossen werden, doch die Jäger kommen nur schwer hinterher. Großteil des Waldes in Privatbesitz Eine weitere Hürde bei der Auswahl der Baumsorten stellt die Verwertbarkeit des Holzes dar. Denn der größte Teil des Waldes befindet sich in privater Hand und die Förster müssen den Besitzern die Aufforstungsmaßnahmen erst schmackhaft machen. Das Holz der Weide zum Beispiel lässt sich nachher nur schwer verkaufen. Bei etwa 700 Waldbesitzern heißt das für Förster Markus Uhr viel Organisations- und Überzeugungs- arbeit. Er berät bei der WaldbeWie Mondkrater ragen die abgesägten Baumstümpfe aus der Erde empor. Fast wie ein Mahnmal wurden die abgesägten Bäume am Weg aufgestapelt. LANDLEBEN
19 wirtschaftung und den konkreten Maßnahmen im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels. »Es ist wichtig, weitsichtige Entscheidungen zu treffen, wir haben es schließlich mit langen Zeiträumen zu tun«, erklärt Markus Uhr die Relevanz seiner Arbeit. Er bezeichnet sich und seine Kollegen auch gerne als »Schiedsrichter im Kampf ums Licht«. Schließlich entscheiden sie darüber, welche Bäume stehenbleiben dürfen und welche gefällt werden müssen. Damit tragen sie auch zur Sicherheit im Wald bei. Diese ist durch die anhaltende Trockenheit allerdings in den letzten Jahren gesunken. »Der Wald war nie ein sicherer Ort, aber jetzt ist er es noch weniger«, warnt Förster Markus Uhr. Äste brechen ab, manchmal fallen sogar ganze Bäume um. Es ist daher wichtig, dem Wald mit offenen Augen zu begegnen, auf den Wegen zu bleiben und bei Stürmen den Wald ganz zu meiden. Markus Uhr wünscht sich mehr Sensibilität für die Wälder unserer Erde, schließlich sind sie die Grundlage für all das Leben auf dieser Welt. Denn nur solange es der grünen Lunge gut geht, bekommen wir Menschen frische Luft zum Atmen. Deswegen ist sich der Förster trotz all der Arbeit sicher, dass er »den schönsten Beruf von allen hat«. In vielen Jahren soll aus diesen Setz- lingen wieder ein richtiger Wald werden. Ein Bild der Hoffnung: Ein junger Mischwald. LANDLEBEN WALD UND HOLZ NRW REGIONALFORSTAMT OSTWESTFALEN-LIPPE Bleichstraße 8, 32423 Minden Tel.: 0571 837860 ostwestfalen-lippe@wald-und-holz.nrw.de
DER WOLF LÄSST SICH WIEDER BLICKEN Viele Märchen und Sagen ranken sich um ihn: den Wolf. In den meisten Fällen kommt er dabei nicht so gut weg. Er gilt als der »böse Wolf«, vor dem sich gefürchtet werden muss. Doch damit wird dem scheuen Tier in den meisten Fällen Unrecht getan. Biologin Elisa Finster von der unteren Naturschutzbehörde des Kreises Minden-Lübbecke und Norbert Schmelz, Leiter des Forstbetrieb- bezirks Stemwede, räumen mit Vorurteilen auf und erklären, warum der Wolf im Kreis noch kein so wirklich großes Thema ist. Aufgrund von jahrhundertelanger Verfolgung galt der Wolf in Deutschland lange als ausgerottet. Seit rund 20 Jahren breitet er sich hierzulande wieder aus. Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 161 Rudel, 43 Paare und 21 sesshafte Einzeltiere nachgewiesen. Zahlen die zeigen, dass es mit der Population der Wölfe nach oben geht. Das wirft bei vielen Menschen Fragen auf – zum Beispiel, ob die Tiere eine Gefahr für uns sind? Böser Wolf oder guter Wolf? Diese Frage ist schwer mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten. Wichtig ist es Elisa Finster zu betonen, dass bei einer Wolfsbegegnung immer ein gewisser Abstand eingehalten werden sollte. »Respekt sollte man auf jeden Fall vor ihm haben«, stellt die Biologin klar. Laut der LANGE GALT DER WOLF IN DEUTSCHLAND ALS AUSGEROTTET. NUN IST ER WIEDER DA UND EROBERT SICH STÜCK FÜR STÜCK SEIN TERRITORIUM ZURÜCK. AUCH IM MÜHLENKREIS WURDE ER SCHON GESICHTET. DOCH IST ER WIRKLICH SO GEFÄHRLICH? 36-Jährigen ist das Tier für den Menschen vorerst nicht gefährlich, denn in den meisten Fällen hat der Wolf mehr Angst vor der Person. »Alle Aufnahmen zeigen nie ein aggressives Tier dem Menschen gegenüber. Sondern ein Tier, dass auf seinem Weg auf einen Menschen gestoßen und deswegen vielleicht etwas neugierig ist. Die meisten waren aber vielmehr gestresst«, beschreibt Nobert Schmelz die Bilder, die Bürger von freilaufenden Wölfen gemacht haben und fügt erklärend hinzu: »Schließlich möchte der Wolf nicht gesehen werden.« Wenn es doch zu einer brenzligen Begegnung mit dem Raubtier kommen sollte, gibt es eine einfache, doch effektive, Handlungsanweisung. »Man sollte nicht aktiv auf das Tier zugehen, aber auch nicht zu schnell wegrennen. Sondern sehr laut sein und wilde Handbewegungen machen. Und dann langsam rückwärts aus der Situation rausgehen«, empfiehlt Nobert Schmelz, der auch Wolf- und Luchsberater ist. Doch müssen wir uns dieses Abwehrhalten überhaupt aneignen, sind Wölfe hier bei uns ein Thema? Ja sind sie, bestätigen die beiden Wolfsexperten. Doch noch haben wir keine Wolfsrudel im Kreis Minden-Lübbecke. Laut Norbert Schmelz befinden sich allerdings durch die Nähe zu Niedersachen drei Rudel in näherer Umgebung zum Kreis. »Es gibt bisher nur durch20 LANDLEBEN
nehmend stabiler wird. »Der Wolf gehört nun mal dazu. Wenn wir von Biodiversität sprechen, muss der Wolf geschützt werden«, stellt Elisa Finster klar. Dass viele Menschen vom Wolf ein schlechtes Bild haben, liegt vor allem daran, dass seine Anwesenheit noch neu und ungewohnt ist. Laut der Biologin muss sich unsere Gesellschaft erst wieder an das Tier gewöhnen und lernen, dass solch ein Tier mit Abstand zum Menschen keine Gefahr darstellt. Ein gesunder Respekt ist bei Wildtieren immer wichtig. »Vor allem dürfen sie nicht angefüttert werden, denn sonst verlieren auch sie den Respekt vorm Menschen«, hebt Norbert Schmelz nochmal hervor. Denn kommt der Wolf dem Menschen zu nahe, darf er im Ernstfall geschossen werden. Am Ende steht die Sicherheit des Menschen im Vordergrund. Die hitzige Debatte in Politik und Medien um den Wolf können die beiden Experten nicht ganz nachvollziehen. »Es gibt nun mal Arten, die negativ auffallen, wie Luchs, Biber oder Wolf. Die will keiner haben,«, so Elisa Finster. Aber sie stellt klar, dass wir mit jeder Tierart umgehen müssen, da sie zur Biodiversität dazugehören und ihre Aufgabe im Ökosystem erfüllen. »Am Ende muss es für alle Beteiligten funktionieren. Jede Gruppe muss Abstriche machen, es hilft kein Starrsinn – kein Beharren auf Positionen. Wir müssen ein ertragbares Maß für alle finden«. ziehende Wölfe und diese bekommen wir auch nur zu Gesicht, wenn sie Spuren hinterlassen haben«, erklärt der Wolfsexperte. Diese Spuren könnten gerissene Schafe, Fotos oder Losung, also Kot, sein. Diese zu suchen und aufzusammeln, ist Aufgabe von Elisa Finster und Norbert Schmelz. Ihren Fund schicken sie dann an das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) für das Monitoring. Hier findet erst eine Untersuchung der Probe statt und dann wird analysiert, wo die Wölfe sich herumtreiben, welche Wölfe es sind und ob sie schon ein Territorium bezogen haben. Wolfsrudel im Mühlenkreis? Landwirte, deren Schafe gerissen wurden, bekommen erst eine Entschädigung, wenn mit Sicherheit nachgewiesen werden kann, dass es sich bei dem Verursacher um einen Wolf gehandelt hat. Auch im Kreis Minden-Lübbecke kam es schon zu Nutztierrissen. Um sich besser vor Wölfen zu schützen, wird eine wolfsichere Umzäunung empfohlen. Doch da der Kreis noch zu keinem Wolfsgebiet erklärt wurde, gibt es dafür keine staatlichen Unterstützungen. Sobald sich ein Wolfsrudel im Mühlenkreis niederlassen würde, wäre die Situation anders. Doch ist das überhaupt realistisch? »So genau kann man das nicht sagen«, so Norbert Schmelz. Er erklärt, dass verschiedene Faktoren dabei eine Rolle spielen würden: »Es kommt drauf an, wo die Jungen in Ruhe großgezogen werden können. Zudem muss genügend Nahrung vorhanden sein. Aber ausschließen kann man es nicht«. Das ist vor allem deswegen nicht so abwegig, da die Wolfspopulation durch ihren Schutzstatus zu21 LANDLEBEN ELISA FINSTER KREIS MINDEN-LÜBBECKE UMWELTAMT Tel.: 0571 807 23460 e.finster@minden-luebbecke.de
22 VIELE SAGEN UND SCHAURIGE GESCHICHTEN KURSIEREN ÜBERS MOOR. DOCH ALL DIESE ERZÄHLUNGEN WERDEN DEM NATURSCHUTZGEBIET NICHT GERECHT, DENN ES HAT VIEL MEHR ZU BIETEN. AUF EINER MOORWANDERUNG BERICHTET DIE ZERTIFIZIERTE NATUR- UND LANDSCHAFTSFÜHRERIN INGEBORG HORTER ÜBER DIE CHARAKTEREIGENSCHAFTEN DES BIOTOPS. WENN DAS MOOR GEDICHTE SCHREIBT »Ein leises Lied, ein stilles Lied, Ein Lied, so fein und lind, Wie ein Wölkchen, das über die Bläue zieht, Wie ein Wollgrasflöckchen im Wind«, liest Ingeborg Horter die letzte Strophe des Gedichts »Alle Birken grünen«, von Hermann Löns, vor. Die Teilnehmenden der Moorwanderung lassen die Zeilen auf sich wirken, dann fragt die Naturführerin: »Was davon finden wir hier in der Natur wieder?«. Beim Blick auf die kargen Landschaften des Hiller Torfmoores zeigt sich, dass die Pflanzenvielfalt nicht riesig, dafür aber einzigartig ist. Das liegt unter anderem daran, dass die Pflanzen eine hohe Anpassungsfähigkeit benötigen, um in dem nassen, sauren und nährstoffarmen Boden zu überleben. »Das Wollgras können wir hier überall finden«, erklärt die 74-jährige Mitarbeiterin des Besucherzentrums Moorhus in Lübbecke. Und tatsächlich, die langen Stängel mit ihren weißen, flauschigen Wölkchen recken sich an vielen Stellen im Moor dem Licht entgegen. Ein weiterer Spezialist, und typisch für das Moor, ist das Torfmoos. Dieses wächst pro Jahr 30 Zentimeter in die Höhe und stirbt gleichzeitig nach unten ab. Aus den abgestorbenen Moosresten wird so das Ausgangsmaterial des Torfes gebildet. Naturschutzgebiet mit viel Geschichte Die muntere Truppe aus 10 Personen zieht weiter durch das Hiller Torfmoor. Sie alle haben sich dazu entschlossen, ihren Samstagmorgen mit einer Führung durch das Naturschutzgebiet zu verbringen. Unter ihnen ist auch Jürgen Knicker aus Hille. Er hat von der Moorwanderung über die Zeitung erfahren und sich sofort dafür angemeldet. »Mich interessieren die Geschichten dahinter. Ich kenne das Moor schon recht gut, weil ich hier wohne. Aber ich möchte noch mehr erfahren«, so die Erwartungen des Hillers. Und diese werden nicht enttäuscht. Ingeborg Horter hat sich im Laufe der letzten Jahre ein Naturführerin Ingeborg Horter (rechts) zeigt den Teilnehmenden die verschiedenen Pflanzen des Moores. LANDLEBEN
23 immenses Wissen über das Moor angeeignet. So berichtet sie zu Anfang von der Entstehung und Entwicklung des Torfmoores, welches etwa 11.000 Jahre alt ist und 1974 als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurde. Das über 500 Hektar große Schutzgebiet beheimatet auch einige Tierarten. Um diese besser kennenzulernen, fordert Ingeborg Horter die Teilnehmenden dazu auf, still zu sein und »schweigend dem Moor zu lauschen«. Dann fragt sie, welche Stimmen zu hören sind. Es sind sich alle einig, dass viele Vögel trillern und zwitschern. Auch die Frösche geben im Hintergrund ein ordentliches Quak-Konzert zum Besten. »Wir haben hier im Moor 73 Vogelarten. 29 davon stehen auf der roten Liste. Dass diese bedrohten Arten sich hier wohlfühlen, liegt an der Ruhe und Ungestörtheit des Moores«, erklärt die Naturführerin und reagiert dann voller Freude auf ein melodisches Flöten: »Das ist der Pirol. Er ist sehr selten«. Der bunte Vogel fühlt sich zwischen den weiten Wiesen, den kleinen Wäldern und den nassen Gebieten besonders wohl. Ort der Entschleunigung Auch für den Menschen ist das Moor ein besonderer Ort der Entschleunigung. Die Ruhe, durchbrochen von den Stimmen der Tiere, kreiert MOORHUS BESUCHERZENTRUM Frotheimer Straße 57a 32312 Lübbecke Tel.: 05741 2409505 kontakt@moorhus.eu »Ein leises Lied, ein stilles Lied, Ein Lied, so fein und lind, Wie ein Wölkchen, das über die Bläue zieht, Wie ein Wollgrasflöckchen im Wind«, eine ganz einzigartige Stimmung. Der Boden des Moores ist weich und nachgiebig. Doch Gefahr darin zu versinken besteht nicht, beschwichtigt Ingeborg Horter. Sie ist es gewohnt, dass Teilnehmer nach den Geschichten der Moorleichen fragen. Und tatsächlich wurden schon manches Mal Leichen in Mooren gefunden, »doch die Menschen waren dann schon vorher tot«, legt Ingeborg Horter offen. Sie erklärt, dass die Gefahr, lebendig vom Moor verschluckt zu werden, ein Märchen ist, man aber stecken bleiben kann. Damit es gar nicht erst so weit kommt, ist es das oberste Gebot, auf den offiziellen Wegen zu bleiben. Auf der Route durchs Hiller Moor befindet sich auch ein ganz besonderes Highlight: ein hölzerner Bohlenweg, der zu einem Aussichtsturm führt. Der Brettersteg durchs Moor ist eine Besonderheit, weil sich Menschen schon vor 2.000 Jahren auf diese Weise ihren Weg durch die nassen Gebiete gebahnt haben. Am Ende der Wanderung liest die Naturführerin Ingeborg Horter noch ein schaurig-tiefsinniges Gedicht von Elisabeth Vieker vor. Der Ort, der schon viele Dichter inspiriert hat, hinterlässt auch bei den Teilnehmenden Eindruck. »Ich finde es hier total schön«, schwärmt Suanne Bringewatt. Zusammen mit ihrem Partner und einer befreundeten Familie hat sie an der Moor- wanderung teilgenommen. Sie ist von der Führung durch das einzigartige Naturschutzgebiet begeistert: »Ich wollte auch mal für mich selber was tun und mein Wissen erweitern. Mir hat es richtig gut gefallen, neue Eindrücke zu bekommen und zu erfahren wie die Pflanzen und Tiere hier alle heißen.« Wenn auch nicht besonders groß, so ist die Pflanzenvielfalt des Moores dafür besonders einzigartig. 06 LANDLEBEN
LANDLEBEN RAUM FÜR PFLANZEN- UND ARTENVIELFALT IN STEMWEDE MIT BLÜHFLÄCHEN LÄDT STEMWEDE INSEKTEN UND VÖGEL ZUM VERWEILEN EIN UND LEISTET DAMIT EINEN BEITRAG ZUM KLIMASCHUTZ. WARUM DAS NICHT NUR EINE WIN-WIN-SITUATION FÜR DIE UMWELT IST, ERKLÄRT MANFRED SÜDMEYER VON DER HEIMATPFLEGE DER GEMEINDE STEMWEDE. Zusammen mit den Stemweder Ortsheimatpflegern wurde das Projekt vorangetrieben. 24
Auf einer Fläche von 20.000 Quadratmetern blüht es in Stemwede auf. Dazu hat die Gemeinde auf eigenen Grundstücken oder gepachteten Flächen heimische Wildblumen gepflanzt. Diese bieten jetzt vielen Insekten und Singvögeln Nahrung und Unterschlupf und sichern damit die Artenvielfalt. Möglich war dies durch die Förderung »REACT-EU: Grüne Infrastruktur«. Zur Freude der Gemeinde wurden die Kosten zu 100 Prozent übernommen. Eigene Wildblumenmischung Ein besonderer Vorteil der Blühflächen ist, dass Stemwede in den nächsten Jahren dadurch Kosten einsparen kann. »Das regelmäßige Rasenmähen entfällt auf den Blühflächen. Es wird höchstens zwei Mal im Jahr gemäht werden. Ansonsten muss nur ein bisschen Unkraut gejätet werden. Auf diese Weise können wir personelle Kapazitäten und somit Steuergelder einsparen«, betont Manfred Südmeyer und fügt hinzu: »Im Großen und Ganzen sollen sich die Pflanzen selber entwickeln.« Zusammen mit den Stemweder Ortsheimatpflegern hat der 57-Jährige das Projekt 2018 initiiert und vorangetrieben. Um die Flächen zum Erblühen zu bringen, wurde eine eigene Wildblumenmischung entwickelt: die Stemweder Blühflächen-Mischung. Diese besteht aus 40 gebietsheimischen Wildblumenarten und wenigen Gräsern und ist für eine mindestens fünfjährige Standzeit ausgelegt. Unter den heimischen Pflanzen befinden sich zum Beispiel Schafgarbe, Kornblume oder auch Moschus-Malve. Wer nach den blühenden Wiesen sucht, findet diese zum Beispiel in Dielingen am Wasserwerk, in Wehdem auf dem Friedhof oder auch im Leverner Dorfzentrum am Schneiderpark, gegenüber des Friedhofs. Gemeindemitarbeiter Manfred Südmeyer freut es besonders, dass sich an der Aktion auch Schulen beteiligt haben. Die Stemweder Bergschule zum Beispiel hat eine Patenschaft für eine der grünen Flächen übernommen. »Diese wird jetzt von den Schülern gepflegt«, sagt der 57-Jährige. Auf diese Weise wird den Kindern schon früh Umweltbildung vermittelt und sie lernen Verantwortung für die Natur zu übernehmen. »Blühflächen bieten Lebensraum und Nahrung für Insekten und Kleinsäuger. Sie sorgen für Biodiversität und eine Verbesserung der Bodenqualität«, hebt Manfred Südmeyer hervor. Auch ein Supermarkt hat eine Patenschaft über- nommen und neben den Gemeindemitarbeitern beteiligen sich auch viele Ehrenamtliche an der Pflege der Wildblumenwiesen. Umdenken muss stattfinden Wenn es auch viel positive Resonanz gibt, so ist doch noch nicht jeder von dem munteren Treiben der wilden Blumen überzeugt. »Im Herbst liegen da nur die abgestorbenen Gräser herum, das finden viele nicht schön. Es muss ein Umdenken stattfinden, denn so ist das für die Natur viel besser als kurz gehaltener Rasen«, erklärt Manfred Südmeyer. Er möchte auch in Zukunft das Thema »Blühflächen in Stemwede« noch weiter vorantreiben und damit das Zuhause für heimische Tierarten erweitern. Auch weitere Bäume sollen an Gemeindewegen gepflanzt werden, denn durch die negativen Auswirkungen des Klimawandels mussten einige gefällt werden. Die Gemeinde Stemwede hat mit ihrem Wirken schon für Aufmerksamkeit gesorgt – bereits andere Städte und Gemeinden haben sich davon inspirieren lassen und ebenfalls Blühflächen gepflanzt. Damit ist die Kommune ein gutes Beispiel dafür, dass jeder seinen Beitrag für die Natur leisten kann. Auch kleine Städte haben Einfluss – jede freie Fläche kann sinnbringend genutzt werden. Die Blühflächen bieten Insekten und Singvögeln Nahrung und Unterschlupf und sichern damit die Artenvielfalt. 25 MANFRED SÜDMEYER GEMEINDE STEMWEDE Tel.: 05745 78899942 m.suedmeyer@stemwede.de
26 REIMLERS TEICH – »DAS FILETSTÜCK VON HILLE« VÖGEL ZWITSCHERN, HUMMELN BRUMMEN UND INSEKTEN FÜHREN ÜBER DEM FUNKELNDEN WASSER EINEN WILDEN TANZ AUF. AM UFER STEHT EINE EINLADENDE HOLZLIEGE UND BÄNKE SIND RUND UM DAS WASSER VERTEILT. IM HERZEN VON HILLE BRINGT REIMLERS TEICH JUNG UND ALT ZUSAMMEN UND LÄDT ZUM VERWEILEN EIN. DAS WAR ABER NICHT IMMER SO. LANDLEBEN
27 Noch vor wenigen Jahren war der 1.200 Quadratmeter große Teich kein besonders attraktiver Ort: Der Wasserstand war durch die vielen Hitzesommer niedrig, das Wasser trüb und verschlammt. Deswegen wurde er naturnah umgestaltet, saniert und ökologisch aufgewertet. Insektenfreundliche Lampen zieren die Wege, ein grünes Klassenzimmer ermöglicht Lernen in freier Natur und um den Teich herum blüht es in allen bunten Farben. Ort der Begegnung »Das hier soll ein grüner Aufenthaltsort sein. Er soll Begegnungen zwischen Jung und Alt fördern und zur Umweltbildung anregen«, erklärt Bauamtsleiterin Ute Hildebrandt das Projekt. Zusammen mit Dagmar Meinert vom Baubetriebshof Hille hat sie das Projekt initiiert und vorangetrieben. Doch auch viele Ehrenamtliche haben mitgewirkt. Einer von ihnen ist der 80-jährige Hermann Böhne aus Hille. Er hat den Vorgang von Anfang an betreut und an allen Ecken und Enden mit angepackt. Der Rentner freut sich, dass seine Heimat nun einen echten Mittelpunkt hat, an dem viele verschiedene Altersgruppen zusammenkommen können. »Das ist hier jetzt das Filetstück von Hille«, hebt Hermann Böhne hervor. Das Besondere ist, dass sich um den Teich herum eine Kita, zwei Schulen, Wohn- häuser und zwei Altersheime befinden. Somit verbindet er all diese Einrichtungen miteinander, aber auch die einzelnen Hiller Ortschaften. Zu dem idyllischen Naherholungsgebiet gehört aber mehr als nur der Teich. Direkt nebenan befindet sich das Hofgut von Oeynhausen – hier wurde auf 3.800 Quadratmetern ein Naturerlebnisraum geschaffen. Neben einer Streuobstwiese, verschiedenen Stauden und Pflanzen bietet eine große Schaukel viel Spaß für Groß und Klein. Ute Hildebrandt und Hermann Böhne haben für das MILLA-Magazin den Test gemacht und das Schaukelerlebnis für sehr gut befunden. Für die Aufwertung der Fläche hat die Gemeinde Hille durch die Förderung »Grüne Infrastruktur REACT EU« 340.000 Euro zur Verfügung bekommen und musste somit keine eigenen Gelder investieren. Sie freut sich, dass mit der großen Summe etwas bewirkt werden kann. »Wir haben zwar viel Grün in Hille, aber man braucht eben auch Aufenthaltsorte, an denen Menschen zusammenkommen können«, betont die 56-jährige Diplom-Verwaltungswirtin. Biotop im Herzen vom Mühlenkreis Auf über 7.000 Quadratmetern ist so ein Biotop für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten im Herzen des Mühlenkreises entstanden, welches einen großen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und dem Austausch von Arten leistet. Auch Kinder können hier viel über die Natur und die Umwelt lernen. Einige von ihnen haben selbst bei dem Projekt mitgemacht. »Die Kinder haben den Raum erobert und ihre eigenen Ideen eingebracht. Dadurch findet ja auch eine Bindung an die Heimat statt«, hebt Ute Hildebrandt hervor. Kinder aus Kitas und Schulen haben sich zahlreich an Pflanzaktionen beteiligt und ihre Freizeit somit sinnvoll in der UTE HILDEBRANDT Fachbereichsleiterin 3 - Planen und Bauen Am Rathaus 4 32479 Hille Tel.: 0571 4044200 u.hildebrandt@hille.de Natur verbracht. Die Fachbereichsleiterin freut sich über jede Hilfe bei der Pflege der grünen Flächen. Es braucht mehr Leute wie Hermann Böhne, die leidenschaftlich ein Ehrenamt für die Natur ausüben. Auch einige der Nachbarn sorgen von Zeit zu Zeit dafür, dass das Wasser des Teiches und die Natur drumherum sauber bleiben. Sie alle setzen sich für eine gesunde Natur ein, die Bestand hat. Denn in Zukunft soll noch einiges mehr passieren. Eine Kita möchte dort einen Sinnespfad gestalten und es soll auch noch ein Hochbeet angelegt werden. Zudem ist ein Fest geplant, bei dem alle Hiller Ortschaften zusammenkommen und feiern können. Auch jetzt ist an schönen Tagen in dem Naturerlebnisraum schon einiges los. Und das wird in den nächsten Jahren noch mehr werden. In Zukunft sollen im Ortskern von Hille weitere Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Neuer Wohnraum, der für neues Leben und neue Begegnungen an Reimlers Teich sorgen wird und die Menschen noch ein Stückchen näher zusammenbringt. Hermann Böhne und Ute Hildebrandt haben die neue Riesenschaukel direkt mal ausprobiert 02
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